Ihr Magen rebellierte. Er schrie nahezu danach diese Ungerechtigkeit
loszuwerden. Im stillen bereute sie ihre grosse Mahlzeit. Das letzte was sie
jetzt gebrauchen konnte, war, das sie sich übergab. Sie dachte weiter nach. Das
durfte einfach nicht wahr sein. Wie konnte sie sich herausreden? Langsam reifte
ein Plan in ihrem Kopf heran. Sie tat erschöpft und senkte den Kopf
"Ihr
mögt ihn, aye ?" fragte sie kleinlaut. "Natürlich. Er ist ein guter
Junge." "Ihr habt eigentlich recht. Er ist gutaussehend, und in ein paar
Jahren bestimmt ein würdiger Krieger. Und er ist so freundlich und
hilfsbereit."
Hastig biss sie sich auf die Zunge. Wenn sie auf einmal zu
sehr von ihm schwärmte wäre es nur zu verdächtig.
"Ich glaube ich war nur
so erschrocken, weil alles auf einmal kam. Und ich bin so furchtbar müde.
Bereden wir doch bitte morgen abend nochmals alles, aye ?"
Helen und
Guthilf tauschten erneut Blicke. Ein kommentarloses Achselzucken war nur die
Antwort.
"Sicher doch Kind. Schlaf dich mal aus. Du brauchst nun ein
wenig mehr Schlaf. Morgen kannst du ja mit Thoralf nochmal alles bereden. Und
dann mit uns."
Nickend stand Wulflyn auf. Sie würde Thoralf lieber die
Kehle durchschneiden als nur ein einziges Wort mit ihn zu wechseln. An der Tür
zwang sie sich zu einen Lächeln was sie ihren Eltern schenkte. Verstohlen betete
sie zu den Göttern das die Lüge, die sie nun heraus brachte, ihr bald vergeben
sein würde.
"Ich muss noch einiges nachdenken über die Situation. Bitte
stört mich den morgigen Tag nicht. Es gibt vieles zu planen. Und ich teile es
dir am Abend dann alles mit Mutter. "
Freudig nickten ihr die Eltern
entgegen. Anscheinend nahmen sie ihr das ab. Erschauernd eilte Wulflyn in ihre
Kammer. Es gab viel zu tun in den wenigen Stunden.
Mühsam stopfte Wulflyn
einige Habseligkeiten in den Beutel. Sie konnte nicht viel mitnehmen. Das wenige
Gold was sie sich zusammengespart hatte, müsste für einige Tage reichen. Vieles
musste sie zurücklassen. Hastig packte sie ein gutes Leinenkleid, sowie eines
mit mehr Flicken ein. Unterkleidung, Kämme, drei verschiedene Tücher, zwei
Dolche und die Bekleidung die sie damals beim Waffentraining trug,
folgten. Es war schon ein oder zwei Stunden nach Mitternacht. Gelegentliches
Wolfsgeheul unterbrach die stille Nacht. Manchmal von den Geräuschen einer
zirpenden Grille begleitet. Sie band sich ihren dunklen Kapuzenumhang um die
Schultern und versteckte ihr Gesicht tief in dessen Kapuze. Keiner sollte sie
sehen. Sie wollte keine Zeugen haben, die ihre Flucht aus Vasudheim
beobachteten. Den dritten Dolch befestigte sie mit einen Lederband an den Gürtel
ihres Kleides. Der Dolch versteckte sich in den Falten. Falls es zu
Auseinandersetzungen kam war er schnell zur Hand.
Wulflyn horchte an der
Tür. Als sie sich sicher war, das alles schlief, glitt sie geräuschlos hinaus.
Auf Zehenspitzen verlies sie das Langhaus und ging Richtung Wirtshaus. Sie
musste ein wenig Proviant mitnehmen. Mit vorsichtigen Druck entriegelte
Wulflyn die Tür. Sie hoffte das sie diesmal nicht so laut quietschen würde.
Innerlich verfluchte sie sich. So oft hatte sie sich vorgenommen die Scharniere
einzuölen. Warum hatte sie das nur nicht getan ? Erleichtert atmete sie auf als
die Tür lautlos aufschwang. Gequält untergrub sie einen lauten Aufschrei als
sie sich ihren Fuss gegen das harte Tischbein stiess. Mit tastenden Armen
presste sie Obst, Brot, Käse und etwas gedörrtes Fleisch in den bereits schon
etwas übervollen Beutel. Leise schlich sie sich wieder hinaus und schloss wieder
die Tür. Vorsichtig sah sie sich nach Einwohnern des Dorfes um die noch wach
waren. Nichts war zu hören oder zu sehen. Wulfyn lief über den Dorfplatz.
Sie wollte noch zu Melinda. Einige Kräuter holen, und die Salbe für ihre Hände.
Betend hoffte sie, das die alte Frau noch wach war.
Erschrocken machte
sie im letzten Moment einen Satz über die Beine einer schlafenden Wache. Hat er
sie gehört ? Nein, er schnarchte weiter. Eilig bewegte sich Wulflyn fort. Es war
so dunkel, und oft stolperte sie über kleinere Steine. Fluchend fing sie sich
wieder und erreichte endlich das Haus Melindas. Leise klopfte sie gegen die
Tür.
"Melinda... ich bin es, Wulflyn. Bitte macht auf." sagte sie gegen
die Tür.
Sie hoffte so sehr das Melinda wach war. Ein Lichtschein
erhellte ein Teil von ihr, als sich die Tür öffnete. Erleichtert schob sich
Wulflyn hindurch und schloss die Tür rasch hinter sich.
"Kind, was tust
du um diese Zeit hier ? Solltest du nicht zu Bett sein ?" "Melinda, ich habe
keine Zeit. Ich muss hier fort. Wenn ich nicht heute Nacht gehe, werde ich zu
etwas gezwungen was ich nicht will. Ich wollte mich von dir verabschieden, und..
und um einige Kräuter bitten die ich auf einer Reise gebrauchen kann." "Aye.
Ich sehe das sich nun langsam dein Schicksal erfüllt !"
lächelnd zog die
alte Dame Wulflyn auf einen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber. Ihr knochiger
Finger deutete auf sie.
"Hör mir gut zu Kind. Das Medaillion mit den
Wolfskopf, hast du es dabei ?"
Zögernd holte Wulflyn ihr Medaillion
hervor. Sie hat sich nie darum Gedanken gemacht, es aber immer getragen, als
Melinda ihr vor etlichen Wintern mal erzählte es sei ihr
Glücksbringer.
"Dieses Medaillion wird dir helfen deine wahre Herkunft zu
erfahren Kind." "Wahre Herkunft?" Wulflyn schnappte nach Luft. "Aye. Helen
und Guthilf sind nicht deine leiblichen Eltern. Sie haben dich im Wald gefunden.
Mit einer Frau. Sie verschwand aber. Helen und Guthilf hielten es für besser dir
nichts davon zu erzählen. Nun ist es aber soweit. Irgendwann wirst du deine
wahre Herkunft erfahren, Wulflyn. Gib nur niemals das Medaillion aus deiner
Hand. Mehr kann ich dir nicht sagen. Egal wo du umherziehst, es wird immer Leute
geben, die dir weiterhelfen können." "Aber.. das versteh ich nicht." Wulflyn
verstand wirklich nicht. "Du wirst irgendwann verstehen lernen. Ich sagte dir
beim letzten Mal doch, das du vor Sonnenaufgang zu mir kommen sollst Kind. Die
Sterne stehen gut für deinen Aufbruch. Und die Götter haben es mir zugeflüstert
das heute dein Schicksal beginnt. Hier, nimm das an dich. Es wird dir helfen.
Schau aber erst bei Tageslicht in das Kästchen. Ich packe dir nun noch einige
Kräuter zusammen. Und dann musst du fort. Deine Zeit wird knapp."
Wulflyn
sagte nichts. Sie war verwirrt. Was war den nur los ? Warum sprach Melinda so
geheimnisvoll ? Nachdenklich betrachtete sie das Kästchen. Das kleine Kästchen
was sie in der Hand hielt war aus Ebenholz hergestellt. Kleine Runen verzierten
den Deckel. Zögernd steckte sie es in ihren immer unförmigeren Sack. Sie
hatte soviele Fragen. Über ihr Schicksal, über die Götter, über alles. Doch
Melinda würde nichts mehr sagen. Sie hatte sich praktisch schon
verabschiedet.
Melinda trat wieder zu Wulflyn. Ein Bündel Kräuter drückte
sie ihr in die Hand. Wulflyn erstaunte es immer wieder, wie gut die blinde Frau
ohne ihre Augen sah. "Hier hast du noch etwas für deine weitere Arbeit mit
Alchemie. Einen Mörser und einen Alchemiekasten. Den schenke ich dir, weil heute
dein Namenstag ist. Nun schau nicht so und verschwinde nun. Leb wohl
Kind" "Aber..." "Leb wohl Wulflyn. Achte auf dich." "Leb wohl ..."
damit verabschiedete sich Wulflyn und schritt hinaus.
Melinda schloss
hinter Wulflyn die Tür. Sie lächelte. So lange Zeit hatte sie darauf gewartet.
Müde ging sie zu Bett. Ihre Aufgabe war erfüllt.
Wulflyn starrte in die
Dunkelheit und kämpfte mit den Tränen. Jetzt war einfach nicht der richtige
Zeitpunkt zu weinen. Voller Mühe schluckte sie ihre Angst herunter. Es war Zeit
aufzubrechen. Wulflyn wandte sich dem Westen zu. Mit grosser Vorsicht erreichte
sie den Dorfrand. Endlich konnte sie ihren Schritt beschleunigen. Sie war
jetzt frei.
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