„Fhynn.“ Erschreckt liess der junge Mönch den Federkiel
fallen und sprang von seinem Stuhl auf. Dabei stiess er gegen den Tisch und das
Tintenfässchen kippte um. Geistesgegenwärtig riss er hektisch einen Stapel alte
Papiere hoch, damit die Tinte diesen wertvollen Text nicht beschädigen konnte.
Nun drehte er sich schuldbewusst und mit hochrotem Kopf zu der Stimme um,
die ihn von hinten gerufen hatte. Er hatte Uriam gar nicht eintreten gehört.
Der alte Abt und Vorsteher dieses Klosters, lächelte als er den jugendlichen
Ungestüm seines Schützlings sah. Dann betrübte sich seine Miene und mit leicht
tadelnder Stimme sagte er: „Mein Sohn, ich wünschte du würdest mit demselben
Elan am Morgengebet teilnehmen.“ Der junge Fhynn senkte schuldbewusst den
Kopf und murmelte: „Vergib mir Vater, ich habe es heute vergessen.“ „Oh
nicht nur heute, du fehltest schon die ganzen letzten Tage, und auch beim Essen
warst du öfters abwesend. Ich hoffe dein Seelenheil leidet nicht darunter?“
Was eigentlich eine Feststellung sein sollte wurde von dem weisen Uriam als
Frage formuliert. Er konnte sich schon denken, das dieser junge Mönch, der sonst
für seine Genauigkeit und sein Pflichtbewusstsein bekannt war, nicht ohne guten
Grund seine glaubensbedingten Pflichten vernachlässigen würde. „Oh nein
Vater, ich bin derzeit in einen Text vertieft, der sehr alt ist.“ Dabei wedelte
Fhynn mit dem Stapel Papiere herum, die er noch rechtzeitig vor der
verschütteten Tinte gerettet hatte. Interessiert beugte sich Vater Uriam
näher. „Die hast du aber nicht aus der Bibliothek oder?“ „Nein Vater, wie
ihr wisst, sind meine Eltern und mein älterer und einziger Bruder vor einem
halben Jahr an der Pest gestorben. Da mir weltlicher Besitz nicht erlaubt ist,
habe ich den Hof und die Besitztümer verschenkt. Als einziges Andenken habe ich
diese Papiere mitgenommen die ich oben auf dem Speicher hinter einer Kiste
entdeckt habe.“ Uriams Hand streckte sich aus und nahm Fhynn nachdenklich
die Papiere aus der Hand, die dieser ihm auffordernd hinhielt. Er betrachtete
die vergilbten und brüchigen Seiten mit äusserster Vorsicht. Nachdenklich legte
sich seine Stirn in Falten als er den Text besah. „Dies scheint eine alte Form
des Keltischen zu sein.“ Fhynn nickte. „Soweit ich bisher herausfinden konnte
scheint dies eine regionale Abwandlung der Gesamtsprache zu sein. Den
Entstehungsort würde ich im nördlichen Irland schätzen.“ Dabei leuchteten seine
blauen Augen und fahrig strich er sich eine Strähne des blonden Haares aus der
Stirn. Uriam liess sich von der Energie und der Begeisterung seines jüngeren
Schützlings anstecken. Er packte Fhynn sanft am Oberarm und zog ihn zu dem
Tisch, wo das Kerzenlicht eine genauere Studie der Papiere ermöglichen würde.
„Könnt ihr es lesen Vater?“ „Hmm.“ ... „Hmm.“ ... Uriam brummelte sich
etwas in den weissen langen Bart bevor er wieder aufsah. „Fhynn schau hier,
gleich im ersten Satz. Dieses Wort hier ... Ahtan ..., ich habe es noch nie
gehört.“ Langsam strich er sich über seinen Bart, das tat er immer wenn er über
etwas grübelte. Fhynn, dankbar über das Interesse seines Mentors, teilte ihm mit
was er bisher herausgefunden hatte. „Dieses Wort ... Ahtan ... scheint ein
Eigenname zu sein. Ich habe es in keinem Wälzer über keltische Abhandlungen in
unserer Bibliothek gefunden. Möglicherweise der Name einer Person, auch wenn ich
den Zusammenhang noch nicht verstanden habe in dem er genannt wird.“ „Weißt
du wie alt dieses Manuskript ist?“ „Ich schätze das es schon mehrere
Jahrhunderte alt sein muss. Einige der Wörter sind so unverständlich, sie müssen
zum Alt-Keltischen gehören.“
In dem Kloster zu Cornwall mehrten die
Mönche das Wissen, und Uriam war ein weiser Vorsteher dem dieses Manuskript
keine Ruhe liess. Er verbrachte mehrere schlaflose Nächte damit, darüber zu
grübeln was es mit diesem Dokument auf sich hatte. Warum befand es sich im
Besitz von Fhynns Familie? Wer oder was war dieser Ahtan? Und welches Wissen
würde sich in diesem Dokument verbergen? Als die Sonne aufging fasste der
weise Uriam eine Entscheidung und rief Fhynn zu sich. Die Tür ging auf und vor
ihm stand der junge Mönch, der ihn fragend ansah.
„Fhynn, ich möchte das
du eine Reise unternimmst.“ „Wohin Vater?“ man merkte ihm das Unbehagen an
bei dem Gedanken die Untersuchung des Manuskripts vorübergehend einstellen zu
müssen. „Du wirst nach Irland reisen.“ „Was soll ich da Vater?“
Jetzt lächelte Uriam „Na dort versuchen das Rätsel um diese Papiere zu
entwirren.“ Fhynns Augen strahlten. Irgendwie hatte er das Gefühl als wenn
diese Dokumente für ihn wichtig wären. „Proviant und gute Wanderkleidung
liegen für dich bereit. Heute verlässt ein Händler unsere Abtei, und er hat mir
versprochen dich auf dem Weg bis zum Meer mitzunehmen. Für deinen weiteren Weg
kann ich dir nur viel Glück wünschen.“
... ...
Jahre
vergingen und Fhynn folgte der Spur dieser Aufzeichnungen. In Irland traf er auf
Gelehrte die Teile der alten Sprache übersetzen konnten. Er reiste vom
nördlichen Irland ins Südliche, und wieder zurück. Nach und nach ergaben die
übersetzten Bruchstücke einen Sinn und offenbarten dem weitgereisten
Ordensbruder eine biografische Erzählung eines Wikingers namens Ahtan. Dieser
Wikinger lernte eine keltische Druidin namens Jadekatze kennen und gemeinsam
bestanden sie Abenteuer bevor sie sich zur Ruhe liessen und Kinder zeugten.
Gefangen von dieser Erzählung besuchte Fhynn die Schauplätze ihrer Abenteuer
und Wanderungen, und fühlte sich mit dieser Geschichte verbunden. Und nach
und nach stiess er auf eine Legende die sich unter den traditionsverbundenen
Iren verbreitete. Die Legende von einem grossen König. Man nannte sie „Der Herr
zweier Welten“. Angetrieben von dieser mystischen Geschichte befragte Fhynn
viele weise Leute und er kam zu dem Schluss das dies nicht nur eine Legende war,
sondern anscheinend auf tatsächlichen Ereignissen beruhte. Natürlich durch die
Zeit und viele Neider oder Bewunderer verfälscht. Er war sich sicher das die
jetzige Geschichte nicht mehr viel mit der ursprünglichen gemein hatte, aber ein
Name tauchte immer wieder auf. „Utgar der Eroberer“.
Was anscheinend
tatsächlich Fakt war, war die Tatsache das die Vormachtstellung der Wikinger mit
dieser Legende verschwand und eine Zeit des Friedens anbrach. Fortschritt machte
sich in der Welt breit, und das Königreich England entstand, da die Bedrohung
durch die angriffslustigen Nordmänner und Kelten schwand.
Im Laufe
seiner Forschungen entdeckte Fhynn die alten Naturgötter und die blutrünstigen
Götter der Nordmänner. Und obwohl die Anzeichen für ihre Existenz verschwunden
waren, erkannte er das es sie doch einst gegeben haben musste. Sein Glauben
an Gott, den einzigen Gott, geriet allmählich ins Wanken.
Ahtan und die
Legende Utgar schienen verwandt zu sein und Fhynn spürte in sich das Blut
wallen, wann immer er an diese mythischen Gestalten dachte. Was machte die
Aufzeichnung auf dem Dachboden, des von seinem Vater erbauten Hauses? Inzwischen
kam er zu dem Schluss, dass sein Vater es selbst nicht wusste. Eventuell war es
ein Familienerbstück dessen Bedeutung die Mitglieder seiner Familie schon seit
Generationen vergessen hatten, und es deshalb achtlos in der Ecke lag? Fhynn
fühlte sich mit diesen beiden Gestalten ... nun ja ... irgendwie verbunden. Und
die damaligen Religionen übten eine grosse Anziehungskraft auf ihn aus.
Nachdem er alles in Erfahrung gebracht hatte, was es zu wissen gab
kehrte er ins Kloster zu Cornwall zurück. 15 Jahre waren seit seinem Aufbruch
vergangen und er kehrte als veränderter Mann zurück. Wesentlich eindrucksvoller
und von innerem Feuer durchdrungen, wirkte er etwas mächtiger als seine Brüder.
Und zugleich war er ruhiger und von innerem Frieden durchdrungen. Uriam
erlebte die Rückkehr seines Schützlings leider nicht mehr, denn sein Alter
forderte 3 Jahre vor Fhynns Rückkehr seinen Tribut.
Es dauerte nicht
lange und unter Fhynns Führung wurde das Kloster zu Cornwall als ein Hort des
Wissens und der Forschung bekannt. Dies war natürlich ein Dorn im Auge der
neuaufgekommenen Inquisition, die das Christentum geißelte und jegliche
Andersdenkende ausrottete. Als die Andersdenkenden ausgerottet waren, ging man
dazu über Zweifler aus den eigenen Reihen als Hexer oder Hexen zu verbrennen.
Und letztendlich beschuldigte man jeden der Hexerei, der die Macht der
Herrschenden gefährdete. Denunzierung, Neid und Missgunst taten ihr übriges um
das Feuer der Scheiterhaufen nicht erlöschen zu lassen.
... ...
„Und hiermit wird Fhynn aus dem Kloster zu Cornwall der Ketzerei für
schuldig befunden!“ Der bohrende Blick des obersten Inquisitors richtete sich
auf den in Ketten vorgeführten, gefolterten Mann, der erbämlich hustete, aber
immer noch erhobenen Hauptes dem Urteilsspruch entgegensah. „Noch heute wird
er auf dem Scheiterhaufen verbrannt, damit seine ketzerische Seele im
reinigenden Feuer Erlösung findet!“ Fhynn, inzwischen ein Mann mittleren
Alters, schluckte. Sein dreckiges blutverkrustetes Gesicht bewegte sich
schmerzerfüllt. „Hast du noch etwas zu sagen?“ Gelangweilt blickte ihm der
Inquisitor entgegen, man merkte ihm an das er über diese Reglementierung, dem
Verurteilten noch ein letztes Wort zuzugestehen, nicht erfreut war. Die
Lippen des verurteilten Abtes öffneten sich und mühsam stiess er die Worte
hervor: „Ich bleibe bei meiner Behauptung das es vor Gott noch andere Götter
gegeben hat.“ „Abführen!“ auf einen Wink des obersten Inquisitors und
Richters ergriffen einige bis an die Zähne bewaffnete Soldaten den geschwächten
Ordensbruder und schleiften ihn davon.
... ...
Als das Feuer
des Scheiterhaufens hochloderte und die darauf angebundene Gestalt in Brand
setzte, leuchtete die Nacht gespenstisch wider von dem Schein der zerstörenden
Flammen. Die arme Gestalt darauf schrie und als das Feuer schon einen Grossteil
seines Körpers gefressen hatte, hörten die Umstehenden letzte flüsternde Worte:
„Nun kehre ich heim zu meinen Ahnen...“
Gerüchten zufolge soll in diesem
Moment eine Reihe von Sternen zu blinken angefangen haben. Und als das Flüstern
erstarb schien der Nachthimmel wie vorher. Alle Anwesenden dachten sie hätten
sich dies nur eingebildet. Aber eines kann ein aufmerksamer Beobachter am
Nachthimmel seither sehen. Es gibt ein Sternzeichen, weit entfernt, das einem
Luchs ähnelt. Dies blinkt immer dann wenn ein Mann mit einem Stab dort
hinaufschaut... |