Der schwarze Ritter
Sie ritten lange Richtung
Südwesten, durchquerten den Wald von Campacorentin und die Avalonsümpfe, bis
endlich die grauen Sandhöhen Cornwalls vor ihnen auftauchten. An der Station
sprang Cedric sofort vom Pferd, betrat das Innere des Handelspostens und grüßte
den Barkeeper wie einen alten Bekannten. "Ist Preda hier bei euch?"flüsterte
er. "Ja, sicher, er ist im Hinterzimmer, gestern angekommen". "Gut",
antwortete Cedric,"Ich muß mit ihm sprechen, Lancelot, Ryan, kommt mit mir."
Neugierig folgten ihm die beiden durch eine Holztür in ein kleines
Kämmerchen. Dort saß ein kräftiger Bretone, vertieft in die Arbeit an einer
halbfertiger Nietenweste und umgeben von Rüstungsteilen aller Arten, Größen und
Qualitäten. Cedric schloß sorgfältig die Tür. "Seid gegrüßt, Preda! Wie ist
die Auftragslage?" "Kann nicht klagen!", antwortete der
Rüstungsschmied,"Albion rüstet zum Kampf, meine Arbeit ist sehr gefragt, ich
komme kaum noch hier weg. Aber was führt Euch zu mir, Sir Cedric, ist Euch
wieder einmal ein Troll auf die Rüstung gehüpft? Dieser da vielleicht?" Er
wies auf Lancelot und lachte fröhlich: "Ihr habt zuviel mit Trollen zu tun,
Cedric. Da kann schon mal eine Beule ins Blech kommen." "Recht habt Ihr,
Preda, dieser junge Troll hier ist tatsächlich der Grund meines Besuchs. Aber es
ist nicht so, wie Ihr denkt. Was ich im Moment von Euch brauche, ist Eure Arbeit
als bester Rüstungsschmied Albions, für eine Rüstung, wie sie das Land noch
nicht gesehen hat." "Ihr schmeichelt mir, Cedric, und das macht mich
mißtrauisch. Raus mit der Sprache, wo ist der Haken bei Sache?" "Nun
gut!",räusperte sich der alte Waffenmeister,"Ich brauche eine Plattenrüstung,
solide gefertigt, aus bestem Material, der Preis spielt keine Rolle, Ihr bekommt
das Doppelte des Üblichen! Preda beobachtete ihn genau, und in seinen Augen
las Cedric den unverhohlenen Argwohn des Geschäftsmannes. Ein so gutes Angebot
war ihm höchst verdächtigt. "Fahrt fort", sagte Preda,"und laßt endlich die
Katze aus dem Sack!" "Gut. Die Rüstung ist nicht für mich, sondern für
diesen Troll hier". Er wies auf Lancelot. Preda pfiff durch die Zähne. Cedric
erklärte weiter: "Die Rüstung sollte schwarz sein und es gehört unbedingt ein
Vollhelm dazu. Und ihr müßt über diesen Auftrag schweigen wie ein Grab. Seid ihr
dazu bereit?" Preda stutzte einen Moment und schwieg, dann begann er zu
lachen, erst leise, dann immer lauter, bis sein schallendes Gelächter den ganzen
Raum füllte. "Haha, Ihr wollt einen Troll in eine Dose stecken!" Der
Waffenschmied prustete und hielt sich den Bauch vor Lachen,"Das ist gut, das ist
das Beste, was ich in den letzten Jahren gehört habe! In eine Plattenrüstung mit
Vollhelm, damit ihn niemand erkennt, nicht wahr? Ihr seid ein verrückter Hund,
Cedric Heradon!" Der Bretone beruhigte sich nur langsam, und sagte dann,
immer noch zwischendurch glucksend: "Gut, bei dieser Geschichte muß ich
einfach dabei sein, auch wenn es schwer nach Ärger riecht. Wartet ein paar Tage
hier, dann bin ich fertig, Dann wird Albion einen einzigartigen Kämpfer in
einzigartiger Rüstung haben. Einen schwarzen Ritter, wie ihn noch keiner gesehen
hat".
Die neue Rüstung war einfach prächtig. Immerhin hatte sie Cedric
mehr Gold als je eine andere zuvor gekostet, und da durfte man auch etwas
erwarten: All das Können, all die Erfahrung des Waffenschmieds Preda steckten in
dieser Arbeit, und so war sie jedes einzelne Goldstück wert. Lancelot
gewöhnte sich schnell an das Gewicht der Rüstungsplatten, und Cedric war mehr
als glücklich, endlich Robe und Theurgenstab beiseite legen zu können.
"Jetzt fühle ich mich wieder wie ein Waffenmeister! Möge Cedricus in Frieden
ruhen, aber zum Theurgen tauge ich einfach nicht." "Aber nein, du hast deine
Sache nicht schlecht gemacht, Cedric! Albion verliert einen begabten Theurgen"
lachte Ryan. "Pah, und gewinnt dafür einen hervorragenden Kämpfer!"
antwortete Cedric und musterte voller Stolz Lancelot an seiner Seite. Sie ritten
zu dritt nebeneinander, Lancelot in der Mitte. Er überragte seine Gefährten
nicht nur um Haupteslänge, sondern war auch kräftiger gebaut, und jetzt, mit der
glänzenden Rüstung, mußte er jedem Beobachter wie einer der legendären,
ruhmreichen Ritter aus Artus glorreichen Tagen erscheinen. "Nur darf niemand
herausfinden, wer sich wirklich hinter dem rabenschwarzen Helm verbirgt",
überlegte sich Cedric. Nun, da kann man ja vorbeugen! "Lancelot, als
schwarzer Ritter mußt du einige Dinge beachten!", erklärte er dem Troll:
"Zum einen brauchst du deinen Namen nicht zu nennen. Sprich so wenig wie
möglich, aber wenn, dann drücke dich höflich aus, so wie Mama und ich es dir
beigebracht haben. Niemand darf an deiner guten Abstammung zweifeln, verstehst
du?" Lancelot nickte. Das sollte ihm nicht schwerfallen. Emily und Cedric
hatten immer Wert auf angemessenes Benehmen gelegt. Emily hatte gehofft, so
einen Ausgleich für sein andauerndes "Verdauungsproblem" zu schaffen. Lancelot
war der wahrscheinlich höflichste, wortgewandteste und am besten erzogene Troll
in Albion, vielleicht sogar in ganz Camelot. Cedric fuhr fort: "Wenn
dich jemand nach deinem Namen fragt, antwortest du..." "Ein Schwur verbietet
mir, meinen Namen zu nennen, bevor ich nicht meine Aufgabe erfüllt habe!",
dröhnte die Stimme des Trolls aus dem Helm. "Sehr schön!", bekräftigte
Cedric zufrieden. Der Junge hatte das Prinzip schnell begriffen! "Und was
ist Eure Aufgabe, edler Kämpe?", hakte er noch einmal nach. "Mein Schwur
verbietet mir auch, über meine Aufgabe zu sprechen. Haltet ein mit euren Fragen,
Fremder, und respektiert den Eid eines Ehrenmann!" "Ausgezeichnet!", jubelte
Ryan begeistert und alle drei lachten laut. Der Rat der Waffenmeister würde
dieses Versteckspiel sicherlich als Hochverrat ansehen, doch es versprach eine
Menge Spaß. "Da ist noch etwas Wichtiges, Lancelot", fiel Cedric plötzlich
ein. Durch die schmalen Schlitze des Vollhelms blickten ihn die großen Augen des
jungen Trolls erwartungsvoll an. "Ein schwarzer Ritter furzt nicht herum!"
Sie erreichten Cornwall West, die letzte einsame Pferdestation im
äußersten Westen des Reiches. Sogleich erprobten sie ihr Können an ein paar
Moorschrecken, die hier die Gegend unsicher machten. Moorschrecken sind fiese,
zweibeinige Ungeheuer, die fast nur aus einem großen Maul mit messerscharfen
Zähnen bestehen und meistens schneller hüpfen können als die bedauernswerten
Reisenden, die ihnen zu nahe kommen. Lancelot erkannte schnell, welche
Vorteile die neue Rüstung im Kampf brachte und im Gefühl der Unbesiegbarkeit
erledigte er die Schrecken fast im Minutentakt. "Schaut mal da oben!", rief
Ryan plötzlich. Auf einem nahen Hügel entdeckten sie eine schwertschwingende
Gestalt, einen Mann, der mit dreien, nein, mit vier Moorschrecken gleichzeitig
kämpfte. Er schien ungewollt in diese schwierige Lage geraten zu sein, denn
seine hektischen Verteidigungsmanöver zeugten eher von panischer Verzweiflung
als von Siegesgewissheit. Cedric kniff die Augen zusammen und musterte den
Kämpfer genauer. "Das ist doch... nein....tatsächlich!" Grinsend wandte
er sich Ryan und Lancelot zu: "Ihr werdet es nicht glauben, wer sich da oben
von den Schrecks in den Hintern beißen läßt, ist niemand anderer als unserer
alter Freund Hauptmann Alphin!" "Was? Tatsächlich! Er ist es", Ryan schaute
nun auch genauer hin und beobachtete seelenruhig den verzweifelten Kampf des
Waffenmeisters. "Alphin scheint einen schlechten Tag zu haben, Freunde! Was
meint ihr? Wollen wir da mal einschreiten?" "Aber Ryan! Wir können dem
ruhmreichen Alphin doch nicht ungefragt zu Hilfe eilen", erwiderte Cedric mit
etwas boshaftem Lächeln, "Vielleicht braucht er uns ja gar nicht? Zumindest
sollten wir anfragen!" Cedric konnte einfach der Versuchung nicht
widerstehen, Hauptmann Alphin etwas zappeln zu lassen. Hatte er sich nicht genug
über den eingebildeten Kerl ärgern müssen? So formte er seine Hände zu einem
Trichter und brüllte: "Hauptmann Alphin! Was für ein herrlicher Kampf!
Erledigt sie alle, wir werden Euren Sieg begeistert feiern!" "Hilfe, Hilfe,
kommt und helft mir, schnell" schallte es zurück und es klang sehr nach Furcht
und aufsteigender Panik. Alphins Lage verschlimmerte sich noch, als sich ein
fünfter Schreck zu den anderen Angreifern gesellte. Auch wenn Cedric den
Hauptmann nicht ausstehen konnte, an seinem Tod wollte er nicht schuld sein.
"Wohlan, Schwarzer Ritter, es ist an der Zeit!" sagte er zu Lancelot: "Das
scheint eine angemessene Aufgabe zu sein!" Lancelot setzte sich zügig in
Bewegung, zur Sicherheit griff er nach der Keule, die ihm immer noch vertrauter
war als das Schwert. Er erreichte den keuchenden Alphin, der schon kurz vor dem
Zusammenbruch stand. Mit wenigen kraftvollen Schlägen hieb er auf die
Moorschrecken ein, dann lagen drei Angreifer tot in ihrem Blut, die beiden
anderen flüchteten hügelabwärts direkt in die gezogenen Schwerter von Cedric und
Ryan. Nach wenigen Augenblicken war alles vorbei. Alphin richtete sich mit
schmerzverzerrtem Gesicht auf und griff nach seinem verlängerten Rücken. Cedrics
scharfe Augen hatten vorhin ganz richtig beobachtet, welcher Körperteil am
meisten unter der Schreckattacke gelitten hatte: Teile des Hosenbodens hingen in
blutigen Fetzen herunter, und Hauptmann Alphin würde vermutlich längere Zeit
nicht reiten können. Erleichtert, noch am Leben zu sein, betrachtete er seinen
Retter genauer und mit wachsendem Erstaunen. "Habt Dank für Euer Eingreifen,
edler Kämpe!", sagte er zu Lancelot und versuchte sich an einer Verbeugung,
brach sie aber angesichts der erlittenen Verletzungen mit einem unterdrückten
Schmerzenslaut ab und fuhr fort: "Doch ich kenne Euch nicht! Sagt, wem habe
ich diese Rettung im letzten Augenblick zu verdanken?" Lancelot verbeugte
sich ebenfalls und antwortete in angemessenem Ton: "Meinen Namen kann ich
Euch nicht nennen, edler Waffenmeister. Ein Schwur zwingt mich, namenlos durch
Albion zu streifen, bis meine Aufgabe erfüllt ist." "Oh! Ah! Ein
geheimnisvoller fremder Ritter!" Neugierig und bewundernd betrachtete Alphin
sein Gegenüber. Welche eine imposante Gestalt! Was für eine gediegene Rüstung,
doch leider verbarg der Helm das Gesicht! Gerne hätte Alphin mehr erfahren, doch
zu seiner Enttäuschung machte der mächtige Kämpfer keinerlei Anstalten, mehr zu
verraten. "So versprecht mir wenigstens, mich in Camelot zu besuchen, wenn
Euer Auftrag erfüllt ist. Schließlich habt Ihr mir heute das Leben gerettet, und
so stehe ich in Eurer Schuld und möchte mich eines Tages erkenntlich zeigen."
Lancelot überlegte einen kurzen Moment und antwortete dann bedächtig:
"So sei es. Es mag der Tag kommen, an dem ich Euch an diese Worte erinnern
werde!"
Alphin verabschiedete sich von den drei Gefährten und machte
sich zu Fuß auf den Weg nach Cornwall Station, sich den verletzten Hintern
reibend, immer schön langsam und vorsichtig den Weg entlang und in respektvoller
Entfernung von allem, was nach Schreck aussah. Doch es blieb nur wenig Zeit,
sich über Lancelots Sieg zu freuen. Alphin war gerade ihren Blicken
entschwunden, da hörten sie aus dem nahen Waldstück eine kräftige, aufgeregte
Frauenstimme: "Weg da! Weg, du Untier, sag ich, Verfluchte Biester, laßt
eure dreckigen Krallen von meinen Sachen! Autsch! Euch werde ich es zeigen, ihr
Biester, ihr Ausgeburten des Bösen! Hier, nehmt das! Und das! Verfluchter Mist!
Hiiiiiiiiiiiiiiiiilllllllfeeeeeee!" "Eine ruppige Ausdrucksweise für eine
Dame!", meinte Ryan und lenkte wie die anderen das Pferd in die Richtung, aus
der das Gezeter erklang. Lancelot war bereits abgesprungen und in den Wald
gerannt. Es schien fast, als hätte Albion heute den schwarzen Ritter dringend
nötig. |