Die Hügel Humbertons
Nach dem unseligen Ende des Katers Mauzi hielt
Cedric es für eine gute Idee, dem Jungen etwas von der Umgebung Humbertons zu
zeigen. Sollte der kleine Troll doch dort seine Fähigkeiten im Keulenschwingen
erproben! Für Lancelot öffnete sich eine weite, wunderschöne Welt: In den
Hügeln Humbertons tummelten sich Geisterhunde, Schwarzwölfe, Schlangen,
Riesenameisen und sogar Skelette. Auf was sollte er nur zuerst draufhauen? Am
schönsten fand der kleine Troll jedoch, dass er alles aufessen durfte, was er
selbst erlegte. Cedric ermutigte ihn regelrecht dazu, denn der unersättliche
Appetit des Jungen belastete doch langsam die Haushaltskasse. An die
folgenden Jahre erinnerte sich Lancelot später als an seine schönste Jugendzeit.
Die grünen Hügel um Humberton waren für ihn eine einzige große, wohlgefüllte
Speisekammer. Nur die Skelette konnten sich halbwegs sicher vor fühlen, an ihnen
war einfach zu wenig dran, fand der Troll. Andererseits -es klapperte und
rappelte so schön, wenn der Keulenschlag saß. Das machte ja auch Freude!
Jeden Tag jagte er in den Hügeln und wurde dabei geschickter und kräftiger.
Die Bevölkerung Humbertons gewöhnte sich an den Anblick des jungen Trolls, wie
er laut brüllend mit erhobener Keule ausgewachsene Schwarzwölfe über die Wiesen
scheuchte. Den meisten war es recht, die Wölfe nicht mehr in der Nähe ihrer
Viehherden oder Kinder zu wissen. Doch so manche schienen sich mehr vor dem
Troll als vor den Wölfen zu fürchten. Dunkle Gerüchte gingen durch das Dorf,
angeheizt von der alten McLeary. Ihre Geschichte von dem keulenschwingenden
Monster, welches ihre liebes Katerchen zerfleischt und gefressen hat, kannte
inzwischen jedes Kind in Humberton. "Noch ist er klein, aber wer weiß, wenn
er groß wird..." raunte sie unheilvoll bei jeder Gelegenheit, "Wer weiß, was er
dann fressen wird...paßt auf eure Kinder auf, sag ich nur. Diese Ausgeburt
Midgards gehört nicht hierher, sag ich nur." In seinem neunten Sommer bekam
er von Ryan eine neue Keule, viel größer und schwerer als die bisherige. Ryan
hatte sogar Stahlbeschläge angebracht und den Griff mit Leder umwickelt. Es war
eine richtige Waffe, wie sie auch ein Lehrling der Kampfkleriker oder ein junger
Ordensbruder führte. Lancelot hüpfte vor Freude und schwang die neue Keule mit
Leichtigkeit. "Danke, Onkel Ryan!" strahlte er und stürzte sofort los,"Heute
Abend gibt es Wildschwein!". Einige Tage zuvor hatte er Wildschweine entdeckt.
Sie suhlten sich im aufgewühlten Boden vor einer verfallenen Kirche im Osten.
Jetzt beobachtete er von Ferne die Rotte und entdeckte inmitten der Tiere zwei
sehr junge Kämpfer. Lancelot hatte diese beiden noch nie in der Nähe Humbertons
gesehen, vermutlich stammten sie aus Ludlow. Einer pikste mit seinem kleinen
Bronzeschwert immer wieder einen mächtigen Keiler, und sein Gefährte fuchtelte
mit den Händen in der Luft herum und brachte kleine Feuerblitzchen zustande. Dem
Wildschwein schadete das wenig, es wurde nur sehr wütend und rammte seine Hauer
immer wieder in Fleisch und Knochen seines Angreifers. Lancelot sah ein
Weilchen zu und schüttelte verächtlich den Kopf. Der Schwertkämpfer führte seine
Schläge so kraftlos wie eine alte Oma, die ihre Fußmatte ausklopft. So konnte
das nichts werden! Kurz entschlossen stürmte er mit seiner Waffe den Hang hinab
und erledigte den schweren Keiler mit einem einzigen, wohlgezielten Schlag. Die
neue Keule war einfach prächtig! Die beiden jungen Krieger starrten ihn an,
als stünde Odins Geist daselbst vor ihnen. Panik flimmerte in ihren Augen.
"Midgards Zorn kommt über uns! Gott sei uns gnädig!" rief der
Schwertkämpfer. Vor Schreck fiel ihm das schartige Bronzeschwert aus den Händen.
"Lauf um dein Leben, lauf, lauf..." schrie der andere, raffte seine Robe
hoch und beiden rannten, wie von Furien gehetzt, in Richtung Ludlow.
Lancelot schaute sich vorsichtig um. Wo war denn das schreckliche Monster,
vor dem die beiden flüchteten? Außer friedlich grunzenden Wildschweinen samt
Frischlingen konnte er nichts entdecken. Menschen benahmen sich manchmal
seltsam! Kopfschüttelnd schulterte er den Keiler und machte sich auf den
Heimweg. Das gebratene Wildschwein schmeckte ausgezeichnet, viel besser als
Wolfskeule oder Schlangenragout. Lancelot beschloß, bevorzugt Schweine zu jagen.
Doch die Schwarzkittel zeigten im Gegensatz zu den stumpfen Riesenameisen oder
Skeletten so etwas wie begrenzten Verstand. Wenn ein kleines kräftiges Etwas mit
großer Keule heranstürmte, dann konnte das übelste Folgen haben. Soviel hatten
sie nach kurzer Zeit und zahlreichen Verlusten in ihren Reihen doch begriffen.
Sobald eines der Tiere Lancelot schon von Ferne erblickte, stieß es ein
ängstliches Quieken und Grunzen aus und die Rotte zerstob in die drei anderen
Himmelsrichtungen. Das erschwerte die Beschaffung der leckeren
Wildschweinkeulen, doch Lancelot verfeinerte seine Jagdstrategie. Jetzt lauerte
er stundenlang abwartend hinten einen Felsen nahe der aufgewühlten Wiese. Immer
wieder mal verirrte sich ein unvorsichtiges Schweinchen in den tödlichen Umkreis
seiner Keule. So hockte er dort eines schönen Sommertages, in Vorfreude die
Keule umklammernd, und wartete auf eine fette Wildsau, die auf der Suche nach
Nahrung seinem Versteck näher und näher kam. Plötzlich schreckte ein ungewohntes
Geräusch sie hoch, und schnell lief sie zur Rotte zurück. Lancelot ärgerte sich.
In diesem Moment flitzte etwas wie ein geölter Blitz an ihm vorbei. Hechelnd und
völlig erschöpft rutschte duckte sich jemand neben ihm hinter den Felsen.
Lancelot musterte neugierig den Störenfried: Ein kleiner, magerer Junge aus dem
Dorf, vielleicht zehn Sommer alt, mit strubbeligen blonden Haaren und
sommersprossigen Wangen, die jetzt vor Anstrengung rot glühten. Der Flüchtling
warf schnelle Seitenblicke nach links und rechts - jetzt entdeckte er den Troll.
Seine Augen weiteten sich vor Schreck, doch er gab weder einen Laut von sich
noch sprang er auf. Nachdem er Lancelot einige Augenblicke unsicher angesehen
hatte, legte er vorsichtig seine Finger auf die Lippen. Stimmen und Schritte
näherten sich dem Versteck, und eine laute herrische Stimme rief: "Luka!
Luka Gracchus, komm sofort raus du kleine Ratte!" Und nach einer kurzen Pause:
"Wir werden dich finden, Luka Gracchus, und wenn wir mit dir fertig sind,
erkennt dich deine eigene Mutter nicht wieder!". Lancelot ärgerte sich.
Dieser Mensch würde mit seinem Gekrähe noch die letzten Wildschweine
verscheuchen! Langsam erhob er sich und trat aus seiner Deckung. Der junge Mann
mit der lauten Stimme drehte sich zu ihm um. Als er anstatt eines schmächtigen
Jungen einen kräftigen jungen Troll erblickte, gefror das boshafte Grinsen in
seinem Gesicht. Hinter ihm standen seine drei Kameraden. Genau wie ihr Anführer
trugen auch sie die Ausrüstung von Kämpfern der ersten Ausbildungsstufe: Mit
ihren Bronzeschwertern und den etwas unhandlichen Holzschilder stellten sie
keine wirkliche Bedrohung dar, obwohl sie sich bemühten, möglichst finster und
gefährlich dreinzuschauen, besonders ihr Wortführer. Lancelot erkannte ihn: Es
war junge Morris Torr, Sohn des Waffenmeisters Torr in Humberton. "Hey, du
da, du Troll!" brüllte Morris ihn an: "Wir suchen die kleine zweibeinige
Ratte Luka Graccus. Ist er hier vorbeigelaufen oder hast du ihn aufgefressen?"
Lancelot verspürte nicht die geringste Lust zu antworten. "Hey du dickes
Monster, gib gefälligst Antwort, wenn dir ein Waffenmeister eine Frage stellt!"
Morris warf sich in Positur, "...und zeig gefälligst ein wenig Respekt, eine
Verbeugung zum Beispiel!" Beifallsheischend blickte er sich zu seinen
Kameraden um. Er, Morris Torr, würde ihnen vorführen, wie man mit einem Troll
umzuspringen hatte. Waffenmeister? Respekt? Lancelot entschloß sich, diesem
unangenehmen Menschen seine ganz persönliche Referenz zu erweisen. Und mit
voller Absicht ließ er einen lauten, langanhaltenden Furz. Selbst die
Wildschweine schauten erschrocken auf, so kräftig knatterte und knallte es.
Hinter sich meinte Lancelot aus dem Versteck ein helles, glucksenden Lachen
zu hören. Morris schaute erst ungläubig, dann nahm seine Gesichtshaut eine immer
rötere Färbung an: "Du unverschämter, stinkender Troll!" brüllte er dann mit
Zornesröte: "Dir werde ich Respekt beibringen!" und er zog sein Schwert und
stürzte auf Lancelot zu. Der wollte erst zu seiner Keule greifen, ließ es
dann aber, weil er fürchtete, es könnte Ärger mit Emily geben, wenn er dem Kerl
hier ordentlich auf den Kopf hauen würde. Seit der Sache mit der Katze war er da
etwas Vorsicht angebracht. Mit einer für seine Größe erstaunlichen
Geschwindigkeit drehte er seinen massigen Körper zur Seite. Morris Schwert stieß
in Leere, und Lancelot packte zu, seine kräftige Trollhand schloß sich wie ein
Schraubstock um Morris Schwertarm, der sofort aufheulte und das Schwert
fallenließ. Jetzt drehte Lancelot ein wenig am Arm, bis der Körper des jungen
Möchtegern- Waffenmeisters herumschwang und Lancelot den Rücken seines
Angreifers vor sich hatte. Morris Kumpane blickten in das schreckverzerrte
Gesicht ihres Anführers, und sie schienen einmütig der Ansicht zu sein, das
dieser Händel sie eigentlich nichts anging. In ihren Gesichter standen Zweifel,
ob es wirklich eine gute Idee von Morris war, sich mit diesem Troll anzulegen.
Lancelot holte einmal mit dem rechten Bein Schwung und verpaßte Morris einen
kräftigen Tritt in den Allerwertesten. Durch die Wucht dieser unsanften
Behandlung stolperte der junge Mann viele Meter weit in Richtung Wildschweine,
trat in etwas Glitschiges, rutschte er nach vorne weg und fiel bäuchlings auf
den Boden, mit dem Gesicht mitten in einen großen Haufen Wildschweinkacke.
Lancelots lautes Trolllachen dröhnte über die Wiese, erschrocken nahmen die
verbliebenen Jungkrieger die Beine in die Hand und rannten. Als Morris sah, wie
seine Gefährten flüchteten, verzog auch er sich schnell vom Schauplatz seiner
unrühmlichen Niederlage. Hinter dem Felsen schob sich ein strohblonder
Strubbelkopf hervor. Der Junge schüttelte sich vor Lachen, minutenlang, es
schien als wolle er gar nicht mehr aufhören. Danach brauchte er ein paar
Augenblicke, um wieder zu Atem zu kommen. Seine Scheu gegenüber Lancelot war
völlig verflogen. Wer so mit Morris Torr umsprang, konnte nur ein prima Kerl
sein! "Das war großartig!" rief er, immer noch nach Luft schnappend.
Dann verbeugte er sich elegant. "Mein Name ist Luka Gracchus, Sohn des
Pferdeverleihers Gracchus, und ich danke Euch für Eure Hilfe" Zu Lukas
Überraschung verbeugte sich auch der Troll, zwar nicht ganz so elegant, aber
Emily und Cedric hatten immer Wert auf höfliches Benehmen gelegt. "Lancelot
Heradon, Sohn des Waffenmeisters Cedric und seiner Frau Emily, zu Euren
Diensten" Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
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