Katze und Keule
Lancelot entwickelte sich prächtig bei den Heradons, und
Emily konnte fast mitansehen, wie ihr kleiner Sonnenschein von Woche zu Woche
größer und kräftiger wurde. Sie kochte gerne für ihn, wirklich gut und
reichlich, sehr reichlich. Der kleine Troll schenkte ihr jedesmal ein
strahlendes Lächeln, wenn der Geruch von Eintopf in seine Nase zog, und ließ
alle Töpfe restlos geleert zurück. Wann immer es das Wetter erlaubte, waren
Emily und Lancelot im Garten, und während sie ihrer Näharbeit nachging,
krabbelte der Kleine munter durch die große Obstbaumwiese, die von duftenden
Rosensträuchern und einem reichhaltigen Gemüsebeet umrandet wurde. Das Licht
und die warme Sonne konnten nur gut für ihren Schützling sein, davon war sie
überzeugt. Darüber hinaus gab es einen weiteren Grund, Lancelot so häufig wie
möglich an die frische Luft zu setzen. Zu ihrem Leidwesen hatten sich seine
Blähungen als dauerhaft herausgestellt. Vor allem wenn der kleine Lancelot sich
freute oder wenn ihn etwas erschrak, dann entfuhr ihm dieses knatternd-pfeifende
Geräusch, gefolgt von der entsprechenden Duftwolke. Doch Emily fand das nicht so
furchtbar schlimm. Hatte nicht jedes Kind seine kleinen Eigenarten? Ansonsten
war Lancelot doch so ein lieber, kluger und aufmerksamer Junge! Auch Cedric
und Ryan hatten den kleinen Troll gerne. Wenn sie von ihren Abenteuern
zurückkehrten, tapste ihnen Lancelot freudestrahlend mit unsicheren Schritten
entgegen. Dann nahm Cedric ihn auf den Arm, was mit jedem Mal anstrengender
wurde, schwenkte ihn herum und meistens entfuhr Lancelot dabei vor Freude ein
kräftiger Furz. Als Lancelot etwa drei Jahre alt war, schnitzte Ryan ihm
eine Keule aus knorrigem Eichenholz, fast so groß wie der kleine Troll selbst.
Lancelot strahlte vor Freude, streichelte liebevoll über das wunderbare Geschenk
und sagte langsam und ehrfurchtsvoll: ""Keu -le". Von da an war er kaum von
seinem größten Schatz zu trennen, wie andere Kinder ihre Holzenten oder Puppen
mit sich führten, so schlürte der kleine Troll immer sein liebstes Spielzeug
hinter sich her. Selbst nachts nahm er seine Keule mit unter die Bettdecke und
kuschelte sich an das alte Eichenholz. Nur einmal musste er für eine kurze Zeit
auf seine treue Begleiterin verzichten, und zwar wegen der Geschichte mit der
Katze. Damals war Lancelot im fünften Sommer bei den Heradons. Im
Nachbarhaus wohnte die alte übellaunige Mrs. McLeary mit ihrem genauso
übellaunigen Mann und fünf Katzen. Vier der Tiere benahmen sich ja ganz
ordentlich, fand Emily, aber da gab es diesen fetten einäugigen Kater. Mrs.
McLeary rief ihn "Mauzi"; und Emily konnte ihn nicht ausstehen. Sie hielt ihn
für ein durch und durch bösartiges Tier, ein paar Mal beobachtete sie, wie der
dicke schwarzgelbe Mauzi durch ihren Garten schlich, scheinbar gelangweilt, und
dann-wenn sie nur einmal nicht hinsah - fiel er über die arglosen Vögel her. Es
schien pure Mordlust zu sein, denn er fraß seine Opfer nicht einmal auf, und
Emily wurde traurig, als sie immer wieder tote Spatzen und Amseln unter den
Obstbäumen fand. Eines Tages nahm sie ihren Mut zusammen und besuchte die
McLearys. Sie bat darum, den Kater doch im Haus zu lassen, doch Mrs. McLeary
keifte sie nur an: "Pah! So lange ihr Euer Trolljunges im Garten frei
herumlaufen laßt, kann meine Katze auch hingehen wo sie will und Vögel fangen
soviel sie will!" Emily hatte schon öfter bemerkt, dass die Menschen im Dorf
ihren Lancelot mit Misstrauen betrachteten. Aber Mrs. McLearys Feindseligkeit
erschreckte sie doch. Niedergeschlagen kehrte sie nach diesem erfolglosen
Versuch zurück. Lancelot bemerkte, wie traurig Emily über die toten Vögel
war. Also entschied er, etwas gegen den Vogelmörder zu unternehmen. Eines
Nachmittags, als Emily gerade Kleidung im Dorf auslieferte, nahm er ein
Wollknäuel aus ihrem Korb, rollte es im Garten ein wenig aus und verschwand mit
dem Fadenende hinter einer Hausecke. Von dort aus schielte er in Richtung
Nachbargrundstück. Da! Mit einem Satz war der fette Kater auf der Hecke, um sich
dann mit einem sattem <Plumps> in Emilys Garten fallen zu lassen, sofort
Ausschau haltend nach unvorsichtigen Vögeln. Lancelot zupfte ein wenig am
Wollfaden, und das Knäuel begann hin- und herzutanzen. Bei aller Gemeinheit und
Hinterhältigkeit - wie jede Katze konnte auch Mauzi einem hüpfenden Wollrest
nicht widerstehen. Er sprang darauf zu und versuchte immer wieder, seine Krallen
hineinzuschlagen, während Lancelot vorsichtig den Faden verkürzte, bis das
Knäuel samt Kater an der Hausecke erschien. Mauzi war viel zu vertieft in das
Spiel mit der Wolle um zu bemerken, welche tödliche Gefahr sich neben ihm
zusammenbraute. Diese eine Unaufmerksamkeit sollte sein Schicksal besiegeln.
Lancelot hob mit der freien Hand in aller Ruhe seine Eichenkeule, zielte genau
und dann - Bumms! Der Schlag hatte gesessen! Hochzufrieden hob der kleine
Troll seine Beute am Schwanz hoch. Vom Kopf war nicht viel übrig. Fip kam
angelaufen und kläffte fröhlich. Er hatte diesen Kater nie leiden mögen, und
sein Bellen klang wie Beifall.
Nachdenklich betrachtete Lancelot die
Überreste. Das Wichtigste war ja getan, aber wohin nun mit dem toten Kater?
Warum eigentlich nicht das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden? fiel ihm
plötzlich ein und er sagte zum Hund: ""Komm, Fip, wir schauen mal, ob man
das essen kann!"
"Mauzi, Mauzi....komm her, komm doch! Es gibt
Fresschen!"Agatha McLeary lief unsicher durch den Garten, suchend und rufend:
""Mauzi, mein Kleiner, wo bist du denn, komm zu Agatha, komm, komm..." Emily
kehrte gerade aus dem Dorf zurück und beobachtete kopfschüttelnd die alte Frau.
Dann betrat sie den Flur, und sofort fiel ihr der Geruch nach brennenden
Holzscheiten auf. Meine Güte! Habe ich den Kamin nicht ausgemacht? erschrak sie
und stürzte in die Wohnstube. Da sah sie Lancelot, neben sich den
schwanzwedelnden Fip, gebannt auf den Kochtopf über den prasselnden Flammen
starren. Da hing doch etwas aus dem Topf? Sie mußte genauer hinsehen. Was dort
wie eine schwarzgelbe Girlande über den Topfrand baumelte, das sah ja aus wie
-oh nein -es war tatsächlich ein Katzenschwanz! "Lancelot!" Sie brüllte
so laut, das die Gläser im Schrank klirrten und Fip sich aufjaulend unter den
Küchentisch verkroch. "Lancelot, was hast du getan?" An diesem Abend
mußte der kleine Troll früh ins Bett. Lancelot war sehr unglücklich. Jetzt würde
er nicht mehr herausbekommen, wie gekochte Katze schmeckt, das war ärgerlich.
Seine Eichenkeule hatte Emily ihm zur Strafe weggenommen, das war noch
schlimmer. Und Emily war sehr böse auf ihn, und das war wohl das Schlimmste. Er
nahm sich an diesem Abend vor, nie wieder mit einer Keule auf eine Katze zu
hauen.
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