In den Reihen der Feinde
Sie ritten sie durch das
Mularntal, bogen kurz vor Mularn nach Westen ab, machten einen großen Bogen um
Jordheim und fanden sich bei Sonnenaufgang bereits in Ost-Svealand wieder.
Bohlen führte sie sicher durch sein Heimatland, und nicht nur Cedric war
inzwischen sehr froh darüber, das der Skalde sie begleitete. Ohne den Sänger
wären sie kaum so weit gekommen, und solange er keine Lieder vortrug, war er
eigentlich ein netter Kerl, wie auch Ryan zugeben mußte. Inzwischen wußte Bohlen
auch das Wichtigste über die wirklichen Gründe ihrer Mission. Cedric sah keinen
Grund mehr, ihm nicht die Wahrheit zu erzählen: über die verhängnisvolle
Vergiftung der albionischen Zauberer und über die große Hoffnung, die sie in den
Trollstein setzten. Bohlen war der Meinung, ein Midgarder Sieg über ein derart
geschwächtes Albion wäre alles andere als ehrenvoll. "Ihr solltet zumindest
die Chance bekommen, Euer Reich zu retten. Bis Sauvage bleibe ich bei Euch, doch
dann trennen sich unsere Wege!" erklärte er. Die Gefährten durchquerten im
ersten Morgenlicht das wildromantische Wald- und Seengebiet Ostsvealands. Dunkle
Fichtenwälder und nebelverhangene Fjorde flogen während des schnellen Rittes an
ihnen vorbei, doch außer der beeindruckenden Landschaft es gab es nicht viel zu
beobachten, die Straßen waren wie leergefegt, nur hier und da erspähten sie
junge Midgardkrieger, die sich eifrig im Kampf gegen Sveawölfe und Bären übten.
Niemand nahm Notiz vor ihnen. Warum sollten sie sich auch wundern über vier
Nordleute und einen Troll, die in Richtung Vindsault unterwegs waren? Cedric
wunderte sich, wie einfach es war, quer durch Midgard zu reiten. Sie
rasteten kurz, bevor sie Westsvealand erreichten. Bis zur Grenzfeste Vindsault
war es nicht mehr weit, und als die Festung in Sicht kam, stand die Mittagssonne
schon hoch über den Berggipfeln. Auch hier bekamen sie keine Schwierigkeiten.
Die Tore Vindsaults standen weit offen, davor sammelten sich zahlreiche kleine
Trupps von Kriegern, um in das Grenzland zu ziehen. Auch Cedric und seine
Gefährten ritten völlig ungestört hindurch. Dennoch, als sie das Tor durchquert
hatten, atmeten die Albionier erleichtert auf. Ein Zwerg aus einer anderen
Reitergruppe rief ihnen zu: "He! Wollt ihr auch nach Albion? Bei Odin und
allen Götter, ich hörte gerade, dass ihre Festungen im Grenzland gefallen sind!"
"Alle Grenzfestungen?" rief Cedric, bemüht, das Entsetzen in seiner Stimme
zu verbergen: "Caer Sursbrooke, Caer Berkstead, Caer Boldiam?" "So ist
es, ja!" bestätigte stolz der Zwerg, "Pennine Mountains gehört jetzt uns, und
nun geht es gegen Excalibur Castle!" Dann ritt er schnell weiter, um wieder
Anschluß an seine Gruppe zu bekommen. "Bei allen Göttern!" flüsterte Ryan
mit bleichem Gesicht, "Wenn sie den Angriff auf Excalibur wagen, dann steht es
schlecht um Albion! Wir müssen uns beeilen!" Sie gaben ihren Pferden die
Sporen und ritten Richtung Odins Gate.
Hinter Odins Gate mußten sie
wieder eine Rast einlegen, sosehr sie sich auch wünschten, schneller
voranzukommen - die Pferde brauchten einige Stunden Erholung. Sie versuchten zu
schlafen, doch die Sorge um sein Land raubte Cedric jede Ruhe. Ungeduldig
erwartete er die erste Morgensonne, dann zogen sie sofort weiter. Schon aus
der Ferne erkannten sie die Midgarder Flagge auf den Zinnen von Caer Sursbrooke,
Mjolnir, Thors Hammer, auf weißem Grund flatterte weit sichtbar als Zeichen der
Eroberung über der Feste. "Verflucht, der Zwerg hatte Recht gehabt!" brummte
Cedric und sie ritten weiter. Auch Caer Berkstead war bereits in den Händen der
Feinde, wie sie kurz danach feststellten. Dann entdeckte Ryan dunklen Rauch am
südlichen Horizont. "Das ist Excalibur Castle, verdammt, sie greifen es
wirklich an!" Seit Cedric sich erinnern konnte, war Excalibur Castle eine
sichere albionische Feste gewesen. In den vielen Jahren, die er und Ryan im
Grenzland verbracht hatten, hatte sich niemals eine feindliche Macht so weit
südlich an Albion herangewagt. Excalibur, die stark befestigte letzte
Bastion vor dem Tor von Sauvage, konnte einfach nicht fallen! Die steinernen
Mauer waren fast so hoch wie Türme, besetzt mit Dutzenden der besten
Bogenschützen Albions, das massive Tor aus dem stärksten Eichenholz gefertigt!
Cedric hatte diese Festung für uneinnehmbar gehalten. Und doch es war
geschehen. Als sie näher herankamen, wehte Mjolnir auch über Excalibur
Castle, die rußgeschwärzte Fahne kündete schon aus der Ferne von einem harten,
grausamen Kampf. Schweigend ritten sie dicht an der Burg vorbei. Noch waren
nicht alle Brände gelöscht, noch lagen die Toten am Fuße der Burgmauer und auf
dem Innenhof. Das mächtige Eichentor war zersplittert, der Sandboden davor
glänzte noch rot vom Blut. Hier mußte die Schlacht am heftigsten getobt haben!
"Doch auch Midgard zahlt einen hohen Preis für diese Eroberung" dachte
Cedric mit grimmiger Genugtuung: Die Leichen vieler Nordleute, Trolle, Zwerge
und Kobolde lagen noch auf dem Schlachtfeld, gespickt mit Pfeilen und
albionischen Speeren legten ihre toten Körper Zeugnis ab, mit welcher
Entschlossenheit die Verteidiger bis zum letzten Mann, bis zur letzten Frau
gekämpft haben mußten. Doch ohne Zauberer und ohne Heiler hatte selbst das
stolze Excalibur Castle nicht gegen die feindliche Übermacht bestehen können.
Cedric und seine Gefährten bekamen eine dunkle Vorahnung dessen, was Albion und
Camelot drohte. Die Sieger waren noch damit beschäftigt, das Castle zu
plündern, sie trugen alles hinaus, was sich auf einem Pferd fortschleppen ließ:
Waffen, Rüstungen, Handelswaren. Direkt neben ihnen durchsuchte gerade ein Zwerg
einen gefallenen Albionier, drehte ihn fluchend herum wie einen Kartoffelsack,
um in den Taschen nach Gold und Schätzen zu wühlen. Cedric blickte in das junge,
bleiche Highlandergesicht des Toten. Der Krieger mochte kaum älter als Luka
gewesen sein. "Steht es wirklich so schlimm um Albion, dass schon halbe
Kinder Excalibur verteidigen müssen?" fragte sich Cedric erschrocken. Auch
Ryan beobachtete den Leichenfledderer, seine Augen blitzten zornig und die Hand
fuhr zum Schwert. Cedric legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm. "Laß
es! Es ist jetzt sinnlos. Denk daran, dass wir Albion erreichen müssen!"
Still ritten sie weiter, ließen das rauchende Excalibur hinter sich, ohne
einen Blick zurückzuwerfen und näherten sich Fort Sauvage, dem Tor zu ihrer
Heimat, der letzten Grenze. Unzählige Midgardkrieger drängten sich jetzt auf
dem Hauptweg und so verringerte sich das Tempo, mit dem sie vorankamen. Die
Abenddämmerung brach an, und eine gewaltige Streitmacht bewegte sich Richtung
Sauvage. Immer wieder ritten kleinere Gruppen aus den Hügeln von Forest Sauvage
hinab auf die Straße, und wie Bäche in einen Fluß münden, so schlossen sie sich
der Armee auf dem Hauptweg an, die jetzt wie ein gewaltiger breiter Fluß durch
die Nacht Richtung Süden strömte. Niemals zuvor hatte das Grenzland ein so
gewaltiges Heer gesehen und Cedric und seine Freunde fanden sich inmitten dieser
Armee wieder. Über den Köpfen wehten die Banner Midgards, die Krieger
feuerten sich gegenseitig mit lauten Schlachtgesängen an. Es waren
hochgewachsene Nordleute mit blitzenden Speeren darunter, gewaltige Trolle,
kleine Kobolde mit mächtigen Zauberwaffen, Zwerge mit messerscharfen Äxten - und
in aller Augen stand Siegeszuversicht und Kampfeslust. Als endlich im Morgenrot
des nächsten Tages die Tore von Sauvage in Sicht kamen, erkannten die Gefährten
erschrocken, dass sich auch dort bereits eine gewaltige Midgarder Streitmacht
versammelt hatte. _________________
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