DAOC-Guide.de :: Thema anzeigen - Der Findeltroll Findeltroll - Kapitel 1

Schreie im Schnee

Wanka hatte Hunger, gewaltigen Hunger. Ihre letzte Mahlzeit lag bereits einen ganzen Tag zurück, eine Ewigkeit für eine ausgewachsene Trollfrau. Jetzt hoffte sie, daß der Kleine nicht anfing zu schreien. Sie hatte ihn gut versteckt, er lag in seinem Fellbeutel sicher in der Gabel einer großen Midgardfichte, gut geschützt vor hungrigen Wölfen und der schneidende Kälte des frostigen Bodens. Aber sein Geplärr konnte die Beute verscheuchen, die leckere Beute, die sich von unten dem Fuß des Felsvorsprungs näherte, auf dem Wanka lauerte. Sie packte ihre Keule und bereitete den Angriff vor. Ein Wildschwein oder ein fetter Goblin wären ihr lieber gewesen. Zwar schmecken diese Menschenkrieger ganz lecker, aber sie lassen sich nicht so leicht totmachen. Ihre spitzen Messer und Schwerter sind selbst für dicke Trollhaut gefährlich und konnten böse Wunden schlagen. Aber ihr knurrender Magen duldete keinen weiteren Aufschub.
Der Mensch befand sich jetzt direkt unter ihr, in etwa drei Meter Tiefe, und schaute ahnungslos umher. Die Trollfrau hielt einen Moment den Atem an und sprang dann kurzentschlossen hinunter, direkt auf ihr Opfer.
Sir Cedric Heradon fühlte nur den dumpfen Stoß eines gewaltigen Gewichts und sackte in die Knie.
"Ein Steinschlag!"; dachte er noch, bevor es schwarz um ihn wurde.
Wanka erhob sich zufrieden von der leblosen Gestalt. Ihre Jagdtechnik war zwar einfach, aber immer wieder erfolgreich. Dieser hier würde nicht mehr mit bösen Stahlsachen in Trolle hineinpiken. Widerwillig betrachtete sie die stark eingebeulte Rüstung des Opfers. Das war auch ein Grund warum sie ungern Menschen jagte. Hatte man es endlich geschafft, dass sie nicht mehr zappeln, dann muß erst dieses ganze lästige Blechzeugs vom Körper entfernt werden. Eine äußerst lästige Arbeit, schlimmer noch als das Abschälen von Flußkrabben. Vielleicht sollte sie ihm zur Sicherheit vorher noch einen Schlag mit der Keule verpassen? Sie hob ihre gewaltige Waffe und zielte auf den Schädel. Plötzlich spürte sie einen furchtbaren, schneidenen Schmerz im Rücken. Verflucht! Da mußte noch ein zweiter Krieger gewesen sein, zuckte es ihr durch den Kopf. Die Trollfrau schrie auf und brach zusammen.
"Cedric, Cedric, komm zu dir, sag doch was!";
Für den benommenen Sir Cedric schien die Stimme wie aus einem Traum zu kommen. Hatte ihn nicht soeben ein Steinschlag begraben? Er schlug die Augen auf und blickte in das besorgte Gesicht von Ryan Connor, seinem langjährigen Gefährten. Langsam kam er zu sich, drehte den Kopf und bemerkte Connors Klinge, die bis zum Heft im Rücken einer zentnerschweren Trollfrau steckte. Kein Steinschlag, dachte er, aber vom Gewicht her kaum ein Unterschied!
"Danken wir den Göttern, dass du noch lebst, Cedric!"; seufzte Ryan erleichtert,"zeig mal deine Verletzungen, die dicke Dame hat dich übel erwischt!"
"Danke, Ryan, alter Freund"
Cedric kam schnell wieder zu sich,
"Vor allem das du mir den unrühmlichen Abgang erspart hast, von einem fetten Trollweib zerquetscht zu werden!" und er grinste schwach.
Ryan half ihm aus der schweren Rüstung und dem Helm. Beides hatte Cedric wohl das Leben gerettet. Es würde aber eine große Herausforderung für jeden Schmied werden, die Spuren dieser Trollattacke zu beseitigen. Cedric selbst war auch recht mitgenommen, und so versorgte sein Freund ihn mit den Salben und Tinkturen aus der Reiseapotheke, die sie neulich bei einem zwielichtigen Händler in Cotswold gekauft hatten.
"Einiges davon hilft vielleicht", äußerte Ryan skeptisch,"doch das meiste von dem übelriechenden Zeugs beleidigt wahrscheinlich nur die Nase. Ein richtiger Heiler wäre nützlicher!"
Plötzlich horchte Cedric auf.
"Ryan, was war das? Hörst du das auch?"; Connor hob den Kopf und lauschte.
"Das wird ein junger Wolf sein!"
"Nein, nein, es klingt anders!" Stöhnend erhob sich Cedric,"Eher wie ein Kind, das schreit"
Bei dem ersten Versuch aufzustehen, sank er gleich stöhnend wieder zu Boden.
"Verflucht seien alle Trolle, besonders ihre schweren Weiber!", grummelte er. Ryan erhob sich.
"Ich werde mal nachschauen, damit du endlich Ruhe gibst!"
Wenige Augenblicke später kehrte Ryan zurück und schwenkte ein Bündel aus Fell in der rechten Hand. Grinsend kam er auf Cedric zu, der überrascht bemerkte, dass sich etwas in der Felltasche bewegte.
"Schau mal, die kräftige Lady war nicht ganz allein!" sagte Ryan. Verblüfft betrachtete Cedric das Mitbringsel genauer.
"Ja, was haben wir denn da?" rief er aus.
Inmitten von schmutzigen Tüchern und Fellresten strampelte ein kleiner Troll lebhaft mit seinen dicken Ärmchen und Beinchen. Große Kulleraugen blickten Cedric direkt an, und die Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. Dann furzte der Kleine laut und kräftig.
"Puh , so ein kleiner Stinker!" schimpfte Ryan und wich unwillkürlich etwas zurück.
Sofort fing das Trollbaby an zu schreien, laut und ausdauernd, und strampelte jetzt viel heftiger.
"Du hast es erschreckt!" Cedrics Stimme klang vorwurfsvoll.
"Ich habe ....was?" empörte sich Ryan:
"Dieses stinkende, furzende Etwas hat mich erschreckt mit seinem Geschrei!"
"Ach, er hat doch nur Hunger" erwiderte Cedric und suchte in seinen Taschen nach einem alten Stück Brot.
Kaum hatte er den Brotkanten über das Gesicht des Trolls gehalten, grabschte der Kleine blitzschnell mit seinen kleinen, dicken Händchen danach und biß zu.
"Autsch! Nicht meinen Finger aufessen!" Cedric zog schnell die Hand zurück und grinste, als er sah, wie der Brotrest unter lautem Schmatzen verschwand. Es krachte und knirschte zwischen den kleinen Zähnchen.
"Was machst du da, Cedric?"; fragte Ryan verwundert: "Was soll das, den Troll auch noch zu füttern? Bringen wir ihn lieber dahin zurück, wo wir ihn gefunden haben und dann zurück nach Albion."
"Aber Ryan, wenn wir ihn hier lassen, verspeist ihn der nächsten Wolf, der hier vorbeikommt" antworte Cedric.
"Na und wenn schon, ist das unser Problem? Was sollen wir sonst mit dem kleinen Furzer anstellen?"
Das Baby rülpste so heftig, dass den beiden Albionern der Geruch einer halbverdauten Trollmahlzeit in die Nase zog, und begann wieder lautstark zu brüllen. So ein halbes Brot ist höchstens die Vorspeise für ein hungriges Trollkind. Cedric, der inzwischen wieder aufstehen konnte, suchte im Gepäck nach geräuchertem Fleisch und getrockneten Fisch. Eine Menge, die der Tagesration eines erwachsenen Kriegers entsprach, verschwand so in wenigen Augenblicken in dem kleinen Trollmagen. Cedric schien es zu freuen, wie es dem Kleinen schmeckte.
"Wir könnten ihn zum Beispiel mitnehmen“ sagte er ruhig" Meine Frau ist so allein, seit die Kinder aus dem Haus sind. Sie freut sich bestimmt, wenn ich ihr was zum Hochpäppeln mitbringe"
"Mitnehmen? Nach Hause? Einen Troll?" rief Ryan entgeistert:"Sir Cedric Heradon, es scheint, dass auch euer Kopf ein paar Prellungen davon getragen hat."
"Das ist mein Ernst, Ryan. Wir können doch nicht ein hilfloses Baby hier in Midgards Wildnis sterben lassen. Wir nehmen ihn mit."" Das sagte er mit einer Entschlossenheit, die jeden Widerspruch Ryans im Keim erstickte.
Immer noch stöhnend vor Schmerzen legte Cedric seine Ausrüstung wieder an und nahm das Fellbündel mit dem kleinen Troll auf den Arm.
"Laß uns aufbrechen, Ryan, damit wir Albion noch erreichen, bevor er unsere gesamten Vorräte aufgefuttert hat!"
Er setzte sich in Bewegung, und sein Gefährte folgte ihm kopfschüttelnd. Von allen seltsamen Geschichten, die er schon mit Sir Cedric Heradon erlebt hatte, war dies wohl die verrückteste. Ein Trollbaby nach Albion bringen! Hatte man so etwas schon einmal gehört? Wie stellte er sich das vor?
Während sie Richtung Albion wanderten, lag der Kleine in Cedrics Armen. Unbeeindruckt von der ganzen Aufregung um seine Person räkelte er sich satt und zufrieden im Fellbündel, hin und wieder unterbrach er mit einem kleinen Rülpser oder Trollfurz die Stille, dann schlief er endlich sanft schnarchend ein.